Abschluss…

Diesen Bericht habe ich nun schon mehrfach angefangen, doch nie zu Ende gebracht. Vielleicht weil ich mein Jahr in Kolumbien noch nicht richtig abgeschlossen hatte, um einen Abschlussbericht zu schreiben. Vor ziemlich genau einem Jahr bin ich dort wieder angekommen, wo ich im September 2016 gestartet war: am Frankfurter Flughafen. Meine Familie nahm mich in Empfang, ich erzählte mehrfach dieselben Anekdoten und tanzte Salsa-Schritte vor. Anschließend gab es ein einwöchiges Abschlussseminar samt Urkunde und ich wurde mehr oder weniger aus meinen weltwärts-Diensten entlassen. Der Stress um die Uni- und Studienplatzsuche nahmen mich anschließend ein und irgendwie war nie Zeit da, mein Erlebtes nochmal zu verarbeiten, um es ein wenig floskelhaft auszudrücken. Jetzt nach einem Jahr scheint der Zeitpunkt deswegen passend, um über meinen eigenen Freiwilligendienst, Entwicklungspolitik und Nord-Süd- Unterschiede zu schreiben. Über Themen also, über die mich mein Freiwilligendienst zum Nachdenken angeregt hat.

Tausende junger Menschen machen sich wie ich jedes Jahr auf in die Welt, um einen Freiwilligendienst zu leisten. Allein im Jahr 2017 verzeichnete das weltwärts-Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 3.217 Freiwillige in Ländern wie Indien, Tansania oder eben auch in Kolumbien. Die Zahl an Freiwilligen ist nach einem sehr starken Anstieg zu Anfang des Programms (2008) zuletzt auf einem konstanten Niveau geblieben. Doch die Nachfrage boomt: Neben weltwärts bieten andere Schirmherren Freiwilligen- und Austauschprogramme an. Immer mehr junge Menschen entscheiden sich nach einer verkürzten G8-Schulzeit (leider hauptsächlich AbiturientInnen) für ein Jahr zwischen Schule und der weiteren Ausbildung, dem sogenannten Gap Year. Denn auch immer mehr Arbeitgeber, Hochschulen und Stipendienwerke suchen nach jungen Menschen mit „Auslandserfahrung“. Besonders üblich ist auch die Frage nach sozialem Engagement. Bewirbt man sich beispielsweise auf ein Stipendium der politischen Stiftungen – Konrad-Adenauer, Friedrich-Ebert etc., ist der Nachweis über soziales Engagement ein absolutes Muss. Mit Weltwärts lassen sich soziales Engagement und Auslandserfahrung perfekt in einem vereinen. Ein Freiwilligendienst macht sich also super Lebenslauf.

Dennoch habe ich häufiger über die Sinnhaftigkeit meiner alltäglichen Arbeit in der Schule nachgedacht. Ich war gekommen, um in der Schule Englisch zu unterrichten und irgendwie auch um etwas Gutes zu tun. Mit dieser Einstellung kommen viele der Freiwilligen in ihren Einsatzstellen an und werden erst einmal enttäuscht. Denn man merkt schnell, dass es gar nicht so leicht ist, die Welt zu verbessern. Im Gegenteil, anstatt den Kindern in der Schule etwas beizubringen, musste ich erstmal die Schulbank drücken und lernen, wie das Leben in Kolumbien eigentlich läuft. Die Lehrer unterrichten auf eine andere Art und Weise, als ich es gewohnt war. Schüler und Lehrer können ein viel näheres Verhältnis zueinander haben und das Lernen der Kinder kann davon auch profitieren. Der Anfang wurde für mich und auch einige meiner Mitfreiwilligen schwierig, weil wir feststellten, dass unsere Vorstellungen gar nicht so schnell in die Tat umsetzen werden konnten wie geplant. Ich habe mit Sicherheit in meinem Freiwilligendienst mehr gelernt, als ich den Kindern beibringen konnten.

Was möchte ich also mit diesem Beitrag sagen? Dass Freiwilligendienste per se abgeschafft werden sollen? Nein, das sicher nicht. Ich finde den Austausch von jungen Menschen wichtig und gut. Unsere Welt wird immer vernetzter und immer mehr Menschen (die aber immer noch eine krasse Minderheit darstellen) können inzwischen alle Teile der Welt bereisen. Trotzdem oder auch gerade deswegen sehen wir einen Rückzug ins Nationale und weltweit ziehen wir Zäune und Mauern an unseren Grenzen hoch, egal ob um Europa oder aktuell auch in Südamerika, wo Venezolanische Flüchtlingen auf Abneigung und Widerstand stoßen. Eigentlich bin ich kein Freund dieser Floskel, doch sie trifft zu: Menschen werden toleranter, wenn sie andere Länder und Kulturen kennenlernen. Wir brauchen also mehr als weniger Austausch. Das bedeutet aber nicht, alle Kritik unter den Tisch fallen zu lassen. Warum auch nicht einen Austausch im kleineren fördern. Schüleraustausche zwischen west- und ostdeutschen Bundesländern könnten Jugendliche beider Seiten von Ressentiments befreien. Auch gerade da diese Woche tausende Rechte in Chemnitz gezeigt haben, wie einige wenige die komplette mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen und dem Ruf der restlichen Bevölkerung schaden können. Mehr Austausch und nicht weniger! Dennoch ist Masse nicht Klasse. Wir müssen darauf achten, dass Austausch sinnvoll ist. In meinem Fall hoffe ich, einigen der Schüler gezeigt zu haben, dass die Welt größer ist als San Marcos, Mulaló oder Yumbo. Bei meinem Abschied sagte Alicia, die Schuldirektorin, dass sie mein Schwärmen von Kolumbien dazu angeregt habe, ihr eigenes Land besser kennenzulernen und mehr reisen zu wollen. Freiwilligendienste haben also auch einen Mehrwert für beide Seiten (hoffe ich). Es hängt bloß davon ab, wie die Freiwilligen ihn bestreiten. Im Nachhinein bereue ich es auch ein wenig, an Wochenenden häufig Kurztrips unternommen zu haben und an der Atlantik-Küste herumgeflogen zu sein. Ein unvergessliches Erlebnis, das aber nur einem kleinen Teil der kolumbianischen Bevölkerung möglich ist.

Damit komme ich zu meinem nächsten Punkt. Wie damit umgehen, dass ich die Möglichkeit habe in Kolumbien zu sein, während diese Möglichkeit andersherum nicht besteht? Ich genieße schließlich eine Vielzahl von Privilegien, die einem Großteil der Weltbevölkerung verwehrt bleiben. Ich bin in einem der reichsten Länder der Erde geboren, kann mit meinem Pass in jedes Land der Erde problemlos einreisen (glaube ich zumindest…), mir droht keine Verfolgung und ich werde bei meiner Ausbildung sowie auch bei meinem Freiwilligendienst vom Staat finanziell unterstützt. In Kolumbien sieht das Leben in einigen dieser Punkten wesentlich anders aus. Man muss daher besonders aufpassen, den Menschen in sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern nicht mit einer Ich-weiß-es-besser-Arroganz zu begegnen. Zuhören und lernen steht daher ganz am Anfang eines Freiwilligendienstes. Die bestehenden Unterschiede zwischen Globalem Süden und Norden versucht die Entwicklungspolitik der Industriestaaten seit Jahrzenten anzugleichen und ein Ende der Aufgabe ist immer noch nicht in Sicht. Unmengen an Geld sind mit der Zeit von Norden nach Süden geflossen und ein vermutlich größerer Teil wieder zurück. Entwicklungshilfe wurde in Entwicklungszusammenarbeit umbenannt, doch vieles hat sich ansonsten nicht verändert. Deutschland bleibt Exportweltmeister und Kolumbien bleibt Kokain-Exporteur Nummer eins. Es gibt aber auch Erfolge. Die weltweite Armut geht zurück, immer mehr Kinder können gegen Krankheiten geimpft werden und besuchen eine Schule. Kluge Köpfe entwickeln weiterhin Ideen, um diesen Weg weiterzugehen. (An dieser Stelle sei das Buch von Rutger Bregman „Utopia for realists“ empfohlen, das ich kürzlich verschlungen habe.)

Was nehme ich also aus meinem Jahr in Kolumbien mit? Freiwilligendienste werden vom deutschen Staat größtenteils finanziert. Im Fall von Weltwärts steuert das BMZ über die Hälfte der anfallenden Kosten von 10.000 Euro bei, der Rest wird von den Entsendeorganisationen und auf Spendenbasis getragen. Ich möchte das Modell Freiwilligendienst nicht generell verurteilen, sondern nach Wegen suchen, ihn fair und wirksam für beide Seiten zu gestalten. Eine Möglichkeit darin besteht z. B. im Süd-Nord Programm, das ein weltwärts-Freiwilligenjahr in Deutschland für Menschen aus dem Globalen Süden ermöglichen soll. Mittelfristig soll das Programm eine Anzahl von 800 Freiwilligen erreichen. Das wäre lediglich ein Viertel der Freiwilligen, die andersherum von Deutschland aus in die Welt gehen. Auf Augenhöhe ist auch das noch nicht, aber immerhin ein Anfang…

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